Am 21. Februar 1962 wurde am Zürcher Schauspielhaus die Komödie Die Physiker des Schweizers Friedrich Dürrenmatt uraufgeführt. Eigentlich muss man sagen, dass sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen "uraufgeführt" wurde, denn der Andrang war so riesig, dass die Premiere an den beiden folgenden Tagen wiederholt wurde. In der folgenden Spielzeit 1962/63 wurde sie auf deutschsprachigen Bühnen fast 1.600 Mal gespielt und bis heute ist das Stück eines der meistgespielten der Nachkriegszeit im deutschsprachigen Raum.
Der 1921 geborene Dürrenmatt war schon in jungen Jahren das "Enfant terrible" unter den Schriftstellern, denn er hatte keine Scheu vor Themen, die bis dahin mit dem Mantel des Schweigens bedeckt wurden. Er wollte keine satt zufriedenen Zuschauer oder Leser, die Kultur konsumieren - die Leute sollten nachdenken. Der Kriminalroman war für ihn das Genre, in dem er die ihm wichtigen Themen behandeln und gleichzeitig die Menschen fesseln konnte; jedoch nicht seine klassische Form - hier die Guten, da die Schlechten, und das Gute gewinnt -, sondern wie im Leben spielt der Zufall eine große Rolle, denn nichts im Leben ist, wie es der Mensch plant, und der Gewinner steht nie fest. Auf der Bühne schien ihm die Komödie am zweckdienlichsten, aber auch hier gilt nicht "am Ende kriegen sich alle" wie in der klassischen Komödie, sondern der Zufall beschwört groteske Situationen herauf und wie schon im Kriminalroman bleiben Fragen offen, für die der Zuschauer eine Antwort suchen muss.
In Die Physiker sind die Elemente beider Genres miteinander verknüpft. Einerseits geschehen Morde, deren Täter zwar feststehen, die aber nicht belangt werden können, weil sie als verrückt gelten, andererseits herrscht ein komödiantisches, zum Lachen reizendes Verwirrspiel und der Zufall will es, dass nicht der Gute obsiegt, sondern ein Verbrecher, der sich als wirklich verrückt herausstellt. Und bei alldem geht es um nichts weniger als das Wohl der Menschheit, was nun wirklich nicht zum Lachen ist.
In einer vornehmen, leicht morbiden Villa einer Privatklinik für Geistesgestörte leben drei Physiker. Der eine gibt vor, Albert Einstein, der Erfinder der Relativitätstheorie, zu sein, der andere will Isaac Newton sein, der die Gesetze der Schwerkraft ergründet hat, und der dritte ist der Physiker Johann Wilhelm Möbius - ihm erscheint angeblich der biblische König Salomon. Geleitet wird das "Sanatorium" von der Psychiaterin Dr. von Zahnd, einer ebenso berühmten und reichen wie hässlichen buckligen Jungfer, und jedem der Patienten ist eine Krankenschwester zugeteilt.
Es stellt sich aber heraus, dass die drei Physiker alles andere als verrückt sind. Einstein und Newton täuschen diese Rolle vielmehr vor, um an die sogenannte Weltformel zu kommen, welche alle physikalischen Phänomene erklären soll. Möbius besitzt diese Formel und gibt sich als geisteskrank aus, um sich aus der Welt zurückzuziehen. Er weiß, dass die Formel durch Missbrauch zur Vernichtung der gesamten Menschheit führen kann. Am Ende müssen die drei feststellen, dass auch die Chefärztin, die einzig wirklich Verrückte, auf der Jagd nach der Formel ihre Hände mit im Spiel hat.
Newton: Es ist aus.
Einstein: Die Welt ist in die Hände einer verrückten Irrenärztin gefallen.
Möbius: Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.
Dürrenmatt schrieb dieses Stück 1961 in der Hochphase des Kalten Krieges, die Welt stand am Abgrund eines atomaren Krieges. Mit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, die 1945 den Zweiten Weltkrieg in Japan beendeten, war der Welt vor Augen geführt worden, was ein Atomkrieg bedeutet; nichtsdestoweniger fanden in Ost und West Atombombentests statt. Und wie man heute weiß, hat ein Atomkrieg schon damals mehrere Male nur durch einen Zufall nicht stattgefunden (und heute ist die Situation noch unkontrollierbarer geworden).
Es war die Zeit, in der sich immer stärker die Frage nach der Ethik, nach der Verantwortlichkeit in der Wissenschaft stellte. Es läuft auf die Frage hinaus: Darf der Mensch alles, was er kann? In ihrer Diskussion vertreten die drei Physiker drei unterschiedliche Standpunkte: Der eine besagt, dass Wissenschaft nur um ihrer selbst willen betrieben werden muss, also keine Verantwortung irgendwem gegenüber habe, der andere besagt, dass das Ziel der Wissenschaft nur in ihrer Anwendung liege, und Möbius nimmt die Verantwortung für sein Wissen auf sich. Die beiden Ersten erkennen die negativen Folgen der Verantwortungslosigkeit und bekehren sich zum ethischen Standpunkt von Möbius. Umso schlimmer ist es, dass auch Möbius scheitert und eine verantwortungslose, verrückte Verbrecherin als Siegerin aus dem Kampf hervorgeht.