In diesem Buch geht es um die Entfaltung einer
grenztheoretischen Forschungsperspektive. Welchen
theoretisch-erkenntniskritischen Zuschnitt muss eine
sozialwissenschaftliche Forschung haben, die die Frage
nach den Grenzen des Personseins in einer sozialwissenschaftlichen
Perspektive empirisch untersucht. Wie wird
zum einen das Feld sozialer Phänomene durch sozialtheoretische
Annahmen kritisch begrenzt? Und zum
anderen: Wie wird faktisch innerhalb sozialer Prozesse
die Grenze zwischen sozialen Personen und anderen
Entitäten gezogen? Es kann als ein Spezifikum moderner
Gesellschaften gelten, dass nur diesseitige lebende
Menschen in einem allgemein anerkannten Sinn soziale
Personen sein können. Andere Gesellschaften ziehen
die Grenzen des Sozialen in anderer Weise und beziehen
etwa Götter oder Tiere in den Kreis legitimer Personen
ein. Die moderne Beschränkung des Kreises legitimer
Personen gilt mehr oder weniger explizit auch in weiten
Teilen der soziologischen Forschung. Sie begreift Vergesellschaftung
als Vergesellschaftung von Menschen.
Wenn man in den Blick nehmen möchte, wie in der
modernen Gesellschaft die zentrale Stellung lebendiger
Menschen hergestellt und als solche stabilisiert wird, ist
es erforderlich, das Verhältnis von Soziologie und Anthropologie
auf eine neuartige Weise zu begreifen, denn
es gilt, die Annahme zu suspendieren, dass nur lebende
Menschen soziale Personen sein können. Im Rahmen einer
sozialwissenschaftlichen Forschung, die die gleichen
anthropologischen Annahmen macht, die auch im Feld
als unbefragte Voraussetzung gelten, können diese nicht
mehr selbst zum Gegenstand gemacht werden. Vielmehr
bestimmen sie von vornherein den Gang der Forschung.
Die beiden Dimensionen der Frage nach den Grenzen des
Sozialen können also nicht voneinander getrennt werden;
sie müssen in ihrem wechselseitigen Bezug zueinander
bearbeitet werden.
Dies führt zu einer Forschungsstrategie, die hier als
kritisch-systematisch bezeichnet wird. Deren Besonderheiten
lassen sich folgendermaßen charakterisieren:
(1.) Theorieentwicklung erfolgt auf der Basis eines systematischen
Theorievergleichs. In einer metatheoretischen
Perspektive wird untersucht, wie in Handlungs-, Interaktions-
und systemtheoretischen Ansätzen das Feld
sozialer Phänomene sozialtheoretisch konzeptualisiert
wird. Auf dieser Grundlage wird eine allgemeine Theorie
sozialer Sachverhalte formuliert, die es erlaubt, die Unterschiede
und Gemeinsamkeiten der Ansätze systematisch
zu begreifen. (2.) Die seit Simmel gültige Immunisierung
sozialtheoretischer Annahmen gegenüber empirischer
Forschung wird aufgegeben. Dies eröffnet die Möglichkeit,
auch die Weiterentwicklung grundlegender
sozialtheoretischer Annahmen mit Bezug auf empirische
Forschung durchzuführen. (3.) Das Theoriedesign basiert
auf der metatheoretischen Unterscheidung dreier
verschiedener Theorieebenen: Sozialtheorie, Theorien
begrenzter Reichweite und Gesellschaftstheorie. Diese
Differenzierung wird letztlich in allen Theorietraditionen
in Anspruch genommen, ohne allerdings immer als solche
benannt zu werden. Wenn diese Differenzierung explizit
gemacht wird, kann genauer herausgearbeitet werden,
wie unterschiedlich das Verhältnis von Sozial- und
Gesellschaftstheorie begriffen werden kann. Empirisch
ergeben sich aus der Theoriedifferenzierung neue Möglichkeiten
des Gesellschaftsvergleichs. (4.) Die Ausrichtung
am Grenzproblem bezieht die Objektebene die
faktische Begrenzung des Kreises soziale
Die Inhaltsangabe kann sich auf eine andere Ausgabe dieses Titels beziehen.
Gesa Lindemann ist Professorin für Soziologie am Institut für Soziologie
der Universität Oldenburg. Monographien: Beunruhigende Sicherheiten. Zur
Genese des Hirntodkonzepts (2003); Die Grenzen des Sozialen. Zur sozio-technischen
Konstruktion von Leben und Tod in der Intensivmedizin (2002); Das
Paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper Leib und
Gefühl (1993). Herausgegeben hat sie u.a. Soziologische Theorie und Empirie
(mit Herbert Kalthoff und Stefan Hirschauer) (2008); Philosophische Anthropologie
im 21. Jahrhundert (mit Hans-Peter Krüger) (2006).
„Über diesen Titel“ kann sich auf eine andere Ausgabe dieses Titels beziehen.
Gratis für den Versand innerhalb von/der Deutschland
Versandziele, Kosten & DauerGratis für den Versand innerhalb von/der Deutschland
Versandziele, Kosten & DauerAnbieter: medimops, Berlin, Deutschland
Zustand: very good. Gut/Very good: Buch bzw. Schutzumschlag mit wenigen Gebrauchsspuren an Einband, Schutzumschlag oder Seiten. / Describes a book or dust jacket that does show some signs of wear on either the binding, dust jacket or pages. Artikel-Nr. M03938808616-V
Anzahl: 2 verfügbar
Anbieter: AHA-BUCH GmbH, Einbeck, Deutschland
Buch. Zustand: Neu. Neuware - Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt dieses Buches. Wie wird das Feld sozialer Phänomene durch sozialtheoretische Annahmen kritisch begrenzt Und: Wie wird faktisch die Grenze zwischen sozialen Personen und anderen Entitäten gezogen Die erste Frage bezieht sich auf die erkenntniskritischen sozialtheoretischen Annahmen, die in jeweils unterschiedlicher Weise in die Forschung eingehen. Die zweite Frage bezieht sich auf elementare Grenzziehungen, durch die im Objektbereich der Kreis sozialer Personen begrenzt wird.Beide Dimensionen des Grenzbegriffs stehen in einem engen Zusammenhang. Wer danach fragt, wie faktisch der Kreis legitimer sozialer Personen begrenzt wird, darf nicht von vornherein voraussetzen, dass ohnehin nur lebende Menschen soziale Personen sein können. Wer diese Voraussetzung fallen lässt, trägt eine hohe Beweislast. Denn man muss Auskunft darüber geben, welche alternativen sozialtheoretischen Prämissen die empirische Forschung anleiten sollen und darüber, wie das Verhältnis von Sozialtheorie und empirischer Forschung zu begreifen ist.Die hier vorgestellten Studien entfalten zunächst im Anschluss an die historisch-reflexive Anthropologie von Helmuth Plessner ein neuartiges Verhältnis von Anthropologie und Soziologie. Anstatt Anthropologie bzw. anthropologische Annahmen als Voraussetzung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis zu begreifen, wird Anthropologie als ein Phänomen im Objektbereich verortet. Dies ermöglicht es zu fragen, welche Funktion der Anthropologie in der Moderne zukommt, wenn es darum geht, den Kreis sozialer Akteure faktisch zu begrenzen. Die sich aus dieser Forschungsstrategie ergebenden Konsequenzen für die Konstruktion von Sozialtheorien werden in einem zweiten Schritt untersucht. Zunächst werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede systematisch rekonstruiert, die sich bei einem systematischen Vergleich der Sozialitätskonzeptionen von Handlungs-, Interaktions- und Systemtheorien ergeben. Vor diesem Hintergrund lassen sich die theoretischen und methodologischen Neuerungen einordnen, die eine Analyse der Grenzen der Sozialwelt erforderlich macht. Dazu gehört nicht zuletzt eine Neufassung des Verhältnisses von Sozialtheorie und empirischer Forschung. Anstatt Sozialtheorien gegen die Infragestellung durch empirische Forschung zu immunisieren, wie es seit Simmel üblich ist, wird ein Verfahren vorgestellt, das es erlaubt, sozialtheoretische Konzepte durch empirische Annahmen zu irritieren. Artikel-Nr. 9783938808610
Anzahl: 2 verfügbar