Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute: Kindesmisshandlung und Rettung in Grimmschen Märchen - Softcover

»Die Zahl der Fälle von Kindesvernachlässigung steigt«. Diese Erfahrung vermittelt eine Mitarbeiterin des Kindernotdienstes in Berlin. Im Jahr 2005 wurden vom Krisendienst des Bezirksamts B-Friedrichshain/Kreuzberg rund 2000 Beratungen bei Kinderschutzfällen vorgenommen, bei denen fast die Hälfte der Kinder in Obhut kamen. Es gibt bezeichnenderweise für die Bundesrepublik keine genauen Zahlen über Kindesvernachlässigung und -misshandlung. Der Deutsche Kinderschutzbund schätzt, dass in Deutschland zwischen 50.000 und 500.000 Kinder unter erheblicher Vernachlässigung leiden. Die Familienministerin Ursula von der Leyen sieht die Situation so, dass »wir das Augenmerk viel zu lange aufs Reparieren statt aufs Vorbeugen gelegt haben«. Von »Rabeneltern« wird gesprochen, wenn die Erziehungsberechtigten ihren Pflichten zum Wohl des Kindes nicht nachkommen. Dabei haben die Ornithologen schon längst richtig gestellt, dass Rabenmütter und -väter in der Vogelwelt als besonders fürsorglich und aufmerksam mit ihren Jungen umgehen. Klar ist auch: Es gibt kein Eltern-Gen, das automatisch dazu führt, dass Menschen mütterlich und väterlich im guten Sinne werden. Vielmehr bedarf es der Bildung und Erziehung und - wenn es sich andeutet, dass Eltern ihre Kinder vernachlässigen - einer Vorsorge und eines Frühwarnsystems, das uns alle angeht, in der Familie, der Nachbarschaft, lokal und global. Es vergeht keine Woche, in der Medien über Kindervernachlässigungen und -misshandlungen, bis hin zu Kindestötungen irgendwo in Deutschland berichten. Die Ursachenforschungen zeigen auf, dass zwar Fälle von Kindervernachlässigung in allen Gesellschaftsschichten anzutreffen sind, aber ziemlich eindeutig wird dabei deutlich, dass vor allem steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Verarmung der Bevölkerung, Gewalt in der Partnerschaft, soziale Isolation und Suchtgefährdung die Gründe dafür sind. Einige Instrumente, aus den »Komm«- Strukturen, der Erwartung nämlich, dass Betroffene von sich aus sich an die offiziellen Sozialeinrichtungen, meist in der Kommune, wenden, in eine »Geh«- Struktur zu verändern, also auf die Familien zuzugehen, ihnen Beratung und Hilfe anzubieten und frühzeitig einzugreifen, wurden bisher entwickelt. Das Stuttgarter Jugendamt hat 2002 den »Kinderschutzbogen« eingeführt, der es den Beschäftigten von Beratungsstellen ermöglicht, nicht mehr nur abwartend zu reagieren. Und in der Sozialarbeit werden verschiedene Modelle von teilnehmenden und Empowerment-Strategien entwickelt und erprobt.... (socialnet.de)

Inhalt: Das Buch betont die starke Rolle der Kinder und ihrer Helfer - beispielhaft gezeigt an »Frau Holle«, »Das Mädchen ohne Hände«, »Der Eisenhans«, »Allerleirauh« und »Schneewittchen«. Charakterisierung: Was geschieht in bestimmten Augenblicken in den Grimmschen Märchen nicht? Wo wird die Verantwortung für eine Handlung weitergegeben? In »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute« betrachtet Maria Leonarda Castello genau das, was eben nicht geschieht, was aber besser geschehen sollte. So entlarvt sie mit ihrem gleichzeitigen Blick auf Sprach- und Kulturgeschichte, worum es tatsächlich geht: Märchen prangern Grausamkeit gegenüber Kindern an, die elterlicher Beziehungslosigkeit entspringt und die in allen Zeiten existierte. Doch Märchen zeigen auch Lösungen auf, die es ebenfalls schon immer gab. (AOL Bücherbrief 58-2008)

Mit scharfem Blick beweist Castello, dass unsere Volksmärchen unbequeme, unterschätzte Dokumente familiärer Kindesmisshandlung und -vernachlässigung sind. Gleichzeitig zeigen sie Wege zur Befreiung des Kindes, die heute noch gelten.Maria Leonarda Castello liest Märchen nicht als Wundergeschichten für Kinder, sondern als Literatur. Dabei fragt sie: Was geschieht in bestimmten Augenblicken nicht? Wo wird die Verantwortung für eine Handlung weitergegeben? Mit einem genauen Blick auf Handlung, Sprach- und Kulturgeschichte verfolgt sie familiäre Ketten von Beziehungslosigkeit und Grausamkeit. Diese betreffen Kinder als deren schwächstes Glied am härtesten. Die Märchen erzählen von der Unterbrechung dieser unheilvollen Ketten, von der Befreiung von Erblasten, die wie ein Fluch wirken. Mit neuem und scharfem Blick beweist die Autorin anhand von fünf Märchen, dass unsere Volksmärchen unbequeme, unterschätzte Dokumente familiärer Kindesmisshandlung und -vernachlässigung sind. Gleichzeitig zeigen sie Wege zur Befreiung des Kindes, die heute noch gelten.